-Hella Harhues- SENDEN/BAY CITY. Den Jetlag hatte mir der Fahrtwind schon längst aus den Knochen gefegt, doch den Kurs in Richtung Freiheit änderte ich auch nicht, als der Tachometer des Pontiacs schon längst die 60-Meilen-pro-Stunde-Grenze überschritt: Ausgerechnet am 4. Juli auf den Schlagloch gespickten Straßen Michigans machte ich also meine ersten Erfahrungen hinter dem Steuer, dazu noch in einem himmelblauen Oldtimer, den ich vorher nur aus Museen kannte – erfüllte ich damit zwar so ziemlich jedes denkbare Coming-of-Age-Indiefilm-Klischee, wurde gleichzeitig aber auch mein ganz persönlicher „American Dream“ wahr.
Bei dem Nationalfeiertag der USA, der für mich mit einer Spritztour durch Downtown Auburn begann – ein typisch amerikanisches 2000-Seelen-Dorf im Midwest und zudem das Zuhause meiner Gastfamilie – und mit atemberaubendem Feuerwerk und hausgemachtem Applepie auf der Veranda der Großeltern endete, sollte es sich erst um den dritten von 56 Sommertagen handeln, die sich anfühlten wie aus einer Hollywood-Produktion.
Die Protagonisten der ganz real stattgefundenen Inszenierung: Familie Kendziorski, bestehend aus fünf quirligen Töchtern und ihren Eltern Gretchen und Dave sowie gefühlt unzähligen Cousinen und Cousins, Tanten und Onkeln – und mir, abenteuerlustigen, frischgebackenen 16-Jährigen, die ihren eigenen Geburtstag zum Großteil 10 000 Meter über Deutschland, Holland, Frankreich, dem „Großen Teich“ und schließlich dem nordamerikanischen Kontinent verbrachte. Zwischen etwa 300 Fremden mit demselben Ziel: Detroit Metro Airport.
Begrüßt wurde ich in dem hübschen, hellgrau gestrichenen Holzhaus in der Beaver Road bei meiner Ankunft als allererstes von dem Duft nach wahrem American BBQ – die Freude meinerseits hielt sich als überzeugte Vegetarierin zugegebenermaßen in Grenzen, das wurde jedoch sofort wieder wettgemacht durch das unglaublich herzliche Willkommen meiner Gastschwestern Lydia, Elyse, Grace und Lauren – Annas Bekanntschaft machte ich erst drei Wochen später, da diese genau wie ich an einem Austausch des „Lions Youth Exchange Program“ teilnahm und gerade das „Dolce Vita“ in Italien genoss. Wettgemacht wurde der Fleisch-Schock auch durch eine Köstlichkeit, die ich hier in Deutschland schmerzlichst vermisse: Peanutbutter-Cups! Wohlmöglich ist deren Erfindung die bedeutsamste Errungenschaft der Vereinigten Staaten – was ist dagegen schon ein Spaziergang auf dem Mond? Übertreffbar höchstens durch den, mir ebenfalls gebotenen, Anblick der Skyline Chicagos im tiefroten Licht der untergehenden Sonne, die sich zusammen mit den tausenden blinkenden Lichtern der Stadt im Wasser des Lake Michigan spiegelt.
Erschreckend häufig musste ich mir innerhalb der zwei Monate Auslandaufenthalts selbst in den Arm zwicken, bloß um sicher zu sein, dass ich nicht doch gerade 4000 Meilen entfernt zu Hause im Bett liege und träume – oder aus irgendeinem Grund in einer Wes-Anderson-Produktion gefangen bin. Denn mögliche Requisiten dafür fanden sich nicht nur in Daves (ein Polizeibeamter mit Auto-Faible), Garage, wo neben dem hellblauen Pontiac unter anderem ein umwerfendes lilafarbenes GTO-Cabrio, ein 1962er Chevrolet Pickup-Truck und das „Majestic Marshmallow“ untergebracht waren. Auf der Rückbank des „MM“ – ein weißer Van, der die gesamte Familie schon zuverlässig durch etliche Staaten ans Ziel brachte – verbrachte ich einige Stunden, sogar eine gesamte Nacht, quatschend mit Anna und Elyse, den Blick gerichtet auf den unglaublichen Sternenhimmel über einem Campingplatz Michigans.
Unser kleiner Roadtrip im „Marshmallow“ führte uns zu einer echten amerikanischen Hochzeit. Doch auch, wenn es durchaus faszinierend war, mit meiner sich selbst als „crazy“ betitelnden Familie auf Zeit zu ikonischen amerikanischen Hymnen die Tanzfläche zu rocken, mein persönliches Highlight des fünftägigen Ausflugs war ein Reisestopp, der so schön war, das es etwas Surreales hatte. Es hätte bloß jemand „Lights, Camera, Action!“ rufen müssen, denn Mackinac Island inmitten des türkisschillernden Huronsee Wassers ist der perfekte Drehort. Die Farbpalette der Herrenhäuser, die das Ufer säumen, kombiniert mit dem Klang des stetigen Hufklapperns auf den autofreien Straßen, befahren nur von Kutschen, deren Fahrer ausgestattet sind mit Zylinder, Monokel und Frack, passten perfekt in die Filmkulissen-Ästhetik.
Verständlich also, finde ich, dass ich am 25. August Rotz und Wasser heulte, nachdem ich mich nach einer letzten Runde Baseball im Garten von den Kendziorskis verabschieden musste und widerwillig meinen Heimweg antrat.
Doch als das Flugzeug in Detroit erst abhob, konnte ich es auf einmal kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen, zu einer Familie die genauso „crazy“ ist wie meine neue „Zweitfamilie“ auf der anderen Seite des Atlantiks.
ACHTUNG! Der Info-Abend zu Auslandsaufenthalten beginnt bereits um 18.30 Uhr! Hier hat sich bei der Vorankündigung in der Zeitung und im Artikel heute leider der Fehlerteufel eingeschlichen. Wir entschuldigen uns für die falsche Zeitangabe in der Zeitung.